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Hier sind ausführliche Texte eingestellt:

Neu (Juni 2023)

 

Silke Jendrowiak: und nun - zu Albrecht DÜRER. Tredition. Mai 2023.

Ausschnitt aus der jüngsten Forschungsarbeit zu Albrecht Dürer (1471-1528), die einen sensationellen Fund anzeigt: Die Vorlage für das »Viergruppenmodell« im Kupferstich »Vier Frauen«   ( »Four witsches)« :

S.158 ff....... Albrecht Dürer ist zurückgekehrt in das sittenstrenge Nürnberg, zurück zu seiner Frau Agnes. Gab es neben ihr andere Frauen? Eine Frage, die angesichts vieler persönlicher Bezüge in seinen Notizen und im Werk nahe liegt und die sich insbesondere bei dem Kupferstich »Vier Frauen« aufdrängt. In der Literatur zu Dürer gilt dieses Blatt bis heute als höchst rätselhaft. Wahlweise wird es auch »Vier Hexen« benannt. Nun sieht aber eine Hexe - im Verständnis der Dürer-Zeit ein zaubermächtiges, mit Unglück und Krankheit drohendes, weibliches Unwesen - ganz anders aus. Die »Hexe« kommt auch bei Dürer daher, wie in Abbildungen seinerzeit: Auf dem Flug zum Hexensabbat, auf einem Bock reitend, dem Symbol tierischer Geilheit und Fruchtbarkeit. Nichts davon bei diesen Vier. Sie seien Studien nach einem (unbekannten) italienischen Vorbild, heißt es, obwohl zugleich eingestanden wird, dass Raum und Beiwerk wenig dazu passen: Die Kugel über den Köpfen der Frauen mit der Jahreszahl 1497 und einer bisher nicht identifizierten Buchstabenfolge, Symbole wie Knochen und Totenschädel, eine aus der Bodenöffnung lugende Teufelsfratze, eine Rundbogenöffnung auf der anderen Seite.


Wenig aussagekräftigt ist auch der Vergleich mit dem klassischen Schema der drei Grazien, das hier »umgebildet worden ist unter Zufügung einer vierten Figur, die mit offensichtlicher Schwierigkeit hineingequetscht ist.

 (Erwin Panofsky: Das Leben und die  Kunst Albrecht Dürers, nach der vierten Auflage 1955 by Princeton University Press , München 1977, S.95.

Nein, hier wurde nicht ›gequetscht‹. Dürer hatte eine Vorlage, eine Gruppe von vier Personen, und er hat diese offenbar besonders sorgfältig kopiert. Gefunden hat er sie in Florenz, wo er gewesen sein muss, schon bei seinem ersten Italienaufenthalt. Im Jahr nach seiner Rückkehr, eben 1497, wird die Zeichnung entstanden sein. Das G in der Buchstabenfolge auf der Kugel kann ein Verweis sein auf den Künstler seiner Vorlage: In Florenz hatte Lorenzo Ghiberti für die Taufkirche neben dem Dom, für das Baptisterium auf der Ostseite, die berühmten Bronzetafeln geschaffen, darunter die Tafel Nr.8.

In den Jahren 1425 - 1452 war der Baumeister, Goldschmied und Kunsttheoretiker Lorenzo Ghiberti mit der »Porta del Paradiso« beschäftigt. Für die zehn Bronzefelder dieser Paradiestür wählte er Szenen aus dem Alten Testament. Darunter die Geschichte von Jakob und Esau, die Söhne Isaaks, der vierzig Jahre alt war,
»....da er Rebekka zum Weibe nahm, die Tochter Bethuels, des Syrers, von Mesopotamien, Labans, des Syrers Schwester...27. Und da nun die Knaben groß wurden, ward Esau ein Jäger und streifte auf dem Felde, Jakob aber ein sanfter Mann, und blieb in den Hütten. 28. Und Isaak hatte Esau lieb, und aß gern von seinem Weidwerk; Rebekka aber hatte Jakob lieb...« (1 Mose)

Und so nahmen Neid und Missgunst ihren Lauf, brachte Esau sich um das Erstgeburtsrecht, wurde von Jakob durch List und Täuschung des väterlichen Segens beraubt. Er gelangte dennoch zu Reichtum und Besitz, wählte gegen den Willen des Vaters drei Frauen aus dem Volk Kanaans für sich, mit ihnen ein eigenes Geschlecht begründend.

Lorenzo Ghiberti stellte Esau und seine drei Frauen als Gruppe auf die linke Seite, den Rahmen überlappend. Mit seinem Rilievo schiaciato, dem Nebeneinander von Hoch- und Flachrelief, muss Ghiberti einen an der Darstellung von Körpern interessierten Maler wie den jungen Albrecht Dürer tief beeindruckt haben. Da Dürer die Gruppe in Kupfer stach, erscheinen sie bei ihm seitenverkehrt.

Eine Spiegelung der Ghiberti-Gruppe zeigt, wie eng er bei der Vorlage blieb, auch wenn er den Mann zu einer Frau machte und die Blickrichtungen der vier Personen änderte (s. Abbildung oben). Bei ihm entsteht der Eindruck von zwei Zweiergruppen. Auf der rechten Seite die Frauen, von denen die Hintere ebenfalls fast vollständig verdeckt ist. Der Rückenakt ist voluminöser, hat den Blick nicht so stark nach rechts gewendet, den Kopf etwas gesenkt. Mit der Frau mit der Haube, neben ihr links, entsteht durch die Überschneidung der Arme ebenfalls eine größere Nähe als zu den anderen beiden.

Ghibertis vier Personen werden Dürer nicht nur als ein Gruppenmodell interessiert haben, sondern ihn vor allem zum Nachdenken gebracht haben über das, was die Bibel aus früher Zeit berichtet: Die Möglichkeit für einen Mann, sich mehrere Frauen zu nehmen. Unmöglich in seiner Zeit mit ihrer Ehe- und Sexualmoral, dem Zwang zur Monogamie, der Verdammung von Trieb und Lust, und einem Gehorsam gegenüber den Eltern, vor allem dem Vater. Ghiberti stellte mit der Wahl dieser Tafel Nr. 8 die Polygamie als eine in alter Zeit legitime Form der Familie dar. Esau verstieß gegen das Gebot des Vaters, keine Frau aus einem anderen Volk zu nehmen. Doch damals gab es eine Versöhnung. Esau wurde Stammvater künftiger Geschlechter.
(Fußnote: In der Paper-Ausgabe meines Buches und im e-book noch nicht enthalten, weil das Rätsel der drei Buchstaben in der Kugel über den Köpfen von Dürers "Vier Fraen" sich mir erst nach der Publikation erschloss: Dürer machte das sehr raffiniert. Er tat so, als würde der volle Name des Meisters um die Kugel herumgeführt, so dass der letzte Buchstabe des Vornamens vorne zu stehen kam, gefolgt von den ersten beiden Buchstaben des Nachnamens: (LORENZ) O G H (IBERTI). 500 Jahre ist niemandem das Vorbild aufgefallen, obwohl die "Porta del Paradiso" mit der Aussentür zur Straße zeigt, also von jedem Fußgänger gesehen werden kann. Das ist wahrlich rätselhaf, dass niemand auf Ghiberti kam, wo doch bekannt ist, dass er Ghiberti schätzte.)

Vor diesem Hintergrund bekommen die Frauen und auch die Umgebung, in die Albrecht Dürer sie setzte, einen Sinn. Zwei seiner Vier sind ›alte Bekannte‹. Die Frau mit der großen Haube und dem Gesichtsschleier über den Augen ist die in der Zeichnung »Der Spaziergang«. Ein junger Mann mit Federhut, Schwert am Gürtel begleitet sie dort, er hat Dürers Gesichtszüge. Hinter dem Baum lauert der Tod. In »Der Tod als Schleppenträger« hat der Tod ihr Kleid in der Hand. Diese Frau muss daher als eine Tote gelten, eine nur noch in der Erinnerung Lebende. Ebenso der Rückenakt, die Haare zum Zopf gebunden, wie in dem jungen ›gotischen‹ Paar (Hamburger Kupfersichkabinett, Liebespaar) und generell für Jungfrauen üblich. Der Totenkopf zu ihren Füßen weist auch sie als eine Verstorbene aus.
Auf der rechten Seite sind sich - bei Dürer - die beiden Frauen sehr ähnlich. Der Bauch der Vorderen ist gerundet, ein knochenähnlicher Gegenstand - auffällig lang - liegt neben ihrem Fuß. Ein Penis-Symbol. Ist es ein Zeichen der Lust, die zu dieser Schwangerschaft führte? Dafür spricht, dass das lange Tuch, das über ihre Scham gelegt ist, von Dürer zwischen den Beinen hindurch bis vor die Höllengruft gezogen wurde. Das wirkt wie eine Warnung, mehr an Lust als an Zeugung zu denken beim Geschlechtsverkehr: Diese Frau ist gefährdet. Anders die fast versteckte Frau hinter ihr, die einen abweisenden Blick auf die Ältere mit der Haube richtet. Sie dürfte das Tugendmodell sein. Zusammen stehen diese beiden auf der Schwelle zu einem offenen Tordurchgang. Nicht irgend einem! So ein Torbogen ist oft zu sehen, ist biblische Bildtradition:

»Ich bin die Tür; so jemand durch mich eingeht, der wird selig werden (Joh.10:9).

Es ist das Tor, vor/hinter dem sich Joachim und Anna in einer Umarmung finden. Es ist das Gegenstück zu Kelleröffnung und Teufelsfratze, zur ewigen Verdammnis. Gläubigen kündet es von der ›Unbefleckten Empfängnis‹.

Zusammengefasst (neu): Vier Frauen - vier, die es im Leben des Künstlers gab, der dem Befehl seines Vaters folgte, seine gerade erst begonnene Künstlerlaufbahn in der Fremde abbrach, die arrangierte Ehe mit der "Jungfrau Agnes" akzeptierte. So gehörte es sich, nach der herrschenden Moral, in den ehrbaren Handwerkerfamilien Nürnbergs. Seine Ehe? Wilde Spekulationen zu Lasten von Agnes. Beziehungen vorher? Allein die Frage scheint noch immer eine Zumutung für eine Dürer-Gemeinde, die ihn über Jahrhunderte zu einem Muster von Tugendhaftigkeit stilisierte. Der Kupferstich "Vier Frauen" erzählt es anders und auch die Phallus-Symbolik in "Das Männerbad" und "Der Spaziergang", in denen Dürer sich selbst als einen Phallus-starken Mann abbildet (ein geläufiges Thema in der mitelalterlichen Literatur). Ihm musste die rigorose Ehemoral seiner Zeit ein Problem werden. Davon 'spricht' er in seinem Kupferstich "Vier Frauen".














▶︎ s. Tresor/Johannes Vermeer

Kernaussagen aus meinen beiden Publikationen über den holländischen Maler Johannes Vermeer  (1632 – 1675)

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500 Jahre unentdeckt: Die Vorlage für DÜRERS Kupferstich ›Vier Frauen‹ - Es war .....

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